Reisebuch Venedig: Wer sich verläuft, geht richtig

Man solle sich, diesen naheliegenden, aber eben auch klugen und oft überhörten Ratschlag erteilt Stefan Maiwald, auf keinen Fall zu viel vornehmen für einen Besuch von Venedig. „Haben Sie Mut zur Lücke, es geht nicht anders“, schreibt der deutsche Autor, der mit seiner italienischen Frau und den Kindern seit zwanzig Jahren eine Lagune weiter wohnt, auf der Insel Grado. „Ein Museum am Tag reicht – sonst wird aus den Besuchen ein allzu liebloses Abhaken.“
Lieber solle man sich treiben lassen, durchaus auch verlaufen. Denn egal, wo man lang komme: richtig unansehnlich sei es nirgends. Und wenn man dann nach dem Stromern durch Gassen und über kleine Plätze einkehrt, in einer Osteria zum Beispiel, solle man dort Dinge probieren, die man nie zuvor gegessen hat. Sich also gerne überraschen lassen, in jeder Hinsicht.
Wie wäre es mal mit Seezungenfilets und Pinienkernen in einer Lasagne anstelle des Hackfleischs?Und wenn es auf einer Karte Speisen gibt, die man zuvor noch nie gekostet hat, ist das obendrein ein starkes Indiz dafür, dass es sich um lokale Küche handelt. Die Gäste also nicht ganz überwiegend Touristen sind, denen mit italienischer Standardküche nach dem Gaumen gekocht wird. Maiwald schlägt vor: eine Lasagne aus Seezungenfilets mit Pinienkernen und Aceto Balsamico, ein Risotto mit Kapern, Zitrusfrüchten und Meeräschenfilets oder Gnocchi mit Tintenfisch. Weil es für Auswärtige speziell in Venedig jedoch nie ganz einfach ist, durch bloßen Augenschein herauszufinden, welche Lokale allein von der schönen Lage profitieren und welche obendrein auch gute Küche anbieten, nimmt Stefan Maiwald seine Leserinnen und Leser bei der Hand und geleitet sie durch die Lagunenstadt.

Damit widerspricht er natürlich dem, was er in dem Vorwort seines Büchleins „Venedig. Essen, Trinken, Erleben“ empfohlen hat, nämlich selbst seiner Wege zu gehen. Auf der anderen Seite ist ein kundiger Türöffner nicht der schlechteste Begleiter. Der etwa weiß, dass es in der Stadt das Projekt „Osti in Orto“ gibt. Darin haben sich Osterien zusammengeschlossen, die gemeinsam einen Obst- und Gemüsegarten auf der Insel Sant’Erasmo bewirtschaften. Die also garantiert frisch geerntete Ware in ihren Küchen verarbeiten.

Neue Venedig-Bücher: Die Autorin Petra Reski und der Fotograf Stefan Hilden erzählen beide aus Sicht der Einheimischen von der Lagunenstadt.
Zu den Restaurants, die Maiwald aufsucht, gesellen sich Bars, Vinotheken, Eisdielen und Bäckereien sowie Spezialitätengeschäfte für Gewürze, Schokolade und Pasta – Dinge, die man nicht sofort verzehren muss, sondern mit nach Hause nehmen kann. Denn wenn man selbst kocht, kommt es genauso auf die Qualität der Zutaten an wie in einer Restaurantküche. Und manches sollte man schlichtweg den Profis überlassen. Maiwald etwa rät grundsätzlich davon ab, Pasta selbst herzustellen: Denn das sei eigentlich immer „ein mehliger, staubiger Albtraum in der Küche, und das Ergebnis ist selten besser als Konfektionsware“. Lieber gute Pasta kaufen und die Zeit darauf verwenden, die eigenen Sughi zu verfeinern.

Die eher uninteressanten Streifzüge führen den Autor in Sternelokale und die Restaurants der Spitzenhotellerie. Dass sie in diesen Häusern kochen können, darf man voraussetzen. Abgesehen davon sind das oft Orte, an denen man Wochen im Voraus einen Tisch reservieren muss. Spannender sind Lokale, deren Betreiber einen kulinarischen Ehrgeiz haben, sich auf traditionelle Rezepte besinnen. Und wo man auch lokale Weine bekommt. Die sind ein Kapitel für sich, das Stefan Maiwald auch immer wieder aufschlägt. Für das meiste, von dem er berichtet, muss man sich Zeit nehmen. Das ist bei einer Hatz vom Kreuzfahrtschiff über die Rialtobrücke zum Markusplatz und zurück nicht zu erleben, und auch nicht bei einem Tagesausflug während des Badeurlaubs in Bibione.
Stefan Maiwald: Venedig. Essen, Trinken, Erleben. ZS Verlag, München, Hamburg 2025. 144 Seiten, 19,99 Euro.
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